xpt 186 – KAMMERSYMPHONIE für Orchester

Titel: III. Kammersymphonie opus 186 
xpt 186
Besetzung: Für ORCHESTER (18 SPIELER) (17 STIMMEN) 
Satzbezeichnung: 
Jahr: 2017/2018
Dauer: ca. 30 Minuten
Uraufführung: 
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w video symphonie xaver paul thoma

Werkkommentar des Komponisten:

Meine drei Kammersymphonien sind jeweils eng verknüpft, mit einem bestimmten Ort und Auftrag.

1978 war ich als Bratschist Mitglied in der Badischen Staatskapelle Karlsruhe. Die I. Kammersymphonie op. 16 [xpt 20] (1978) entstand im Auftrag für die Konzertreihe des Badischen Staatstheaters Karlsruhe „Neue Musik“ im Karlsruher Schloss, und wurde von meinen damaligen Orchesterkollegen am 13. Oktober 1978 uraufgeführt. Die Leitung hatte Frithjof Haas.

Die II. Kammersymphonie opus 76 (1988/1989) verdankt ihre Entstehung einem geplanten Komponistenportrait im DZzM (Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik). Dieses Institut wurde von dem Dresdner Komponisten Udo Zimmermann geleitet, und hat sich seinerzeit darum bemüht, die Musikszene der DDR und der BRD möglichst eng zu verknüpfen. Die Uraufführung der II. Kammersymphonie Opus 76 (xpt) 1988/89 erfolgte am 28. Oktober 1989 in einem Portraitkonzert mit drei weiteren Kammermusikwerken von mir. Das Ensemble des DZzM dirigierte Jürgen Wirrmann.

Rund 28 Jahre später saß ich in Stuttgart mit dem Dramaturgen Rafael Rennicke zusammen, und er erläuterte mir dann seine Ideen zu den geplanten Jubiläumskonzerten „425 Jahre Staatsorchester Stuttgart“.

Mein Vorschlag zu einer III. Kammersymphonie wurde entwickelte sich dahingehend, dass in Form von Zitaten möglichst viele der mit diesem Orchester arbeitenden Dirigenten und Komponisten in der entstehenden Partitur berücksichtigt werden.

Nachdem ich mich genauer mit der Geschichte des Orchesters und des Stuttgarter Musiklebens beschäftigt hatte, vergrößerte sich die Liste der für mich interessanten Personen allerdings so stark, dass ich sie erst einmal drastisch kürzte.

  1. Meine musikalische Reise beginnt mit Niccolo Jomelli (1714 – 1774).

Als Jomelli 1753 als Oberkapellmeister an den württembergischen Hof berufen wurde, waren seine Opern und auch kirchenmusikalischen Werke schon in ganz Europa verbreitet. Jomelli war bis 1770 in württembergischen Diensten und führte die Hofkapelle von Stuttgart und Ludwigsburg an die Spitze der damaligen europäischen Orchester.

[Der Einfachheit halber nenne ich jetzt meine Partitur xpt; der Buchstabe T steht für die Taktzahl in meiner Partitur, die den Eintritt von Motiven oder Themen der zitierten Werke anzeigen.]

xpt ab T 3 erscheint Jomellis Chaconne Es-Dur, transportiert nach E, begrenzt auf eine Hälfte des Themas. Ein weiteres Motiv tritt in xpt T 18 in Blockflöte und Piccolo hinzu, sowie T35 im Cembalo. Dies als kleinen Hinweis für eine eventuelle Spurensuche.

  1. In xpt T 56 schleicht sich Peter Joseph von Lindpaintner (1791 – 1856) herbei.

Aus seiner Sinfonie concertante op. 36 für 5 Solo-Bläser und Orchester werden aus dem I. Satz verschiedene Motive zitiert, der II. Satz erscheint bei xpt T 71. Lindpaintner wirkte von 1819 – 1856 als Hofkapellmeister in Stuttgart.

  1. Bernhard Molique (1802 – 1869) war einer der bedeutendsten Geiger seiner Zeit. Er wirkte unter Lindpaintner von 1826 – 1849 als Konzertmeister der Stuttgarter Hofkapelle. Ab xpt T 93 meldete sich Bernhard Molique mit Motiven aus seinem Oboenkonzert in g-Moll.
  2. Dann geht tritt die musikalische Reise wieder um ein paar Jahre zurück: wir treffen Carl Maria von Weber (1786 – 1826).

Dieser wurde im August 1807 zum Geheimen Sekretär von dem in Stuttgart/Ludwigsburg residierenden Herzog Louis von Württemberg (1756 – 1817) berufen. Diese Tätigkeit endete Anfang 1810 etwas unrühmlich in der Haftanstalt. Weber hat in diesen Stuttgarter Jahren trotzdem sehr intensiv komponiert, unter anderem 1808 – 1810 die Oper „Silvana“. Die „Arie der Mechthild“ aus dieser Oper wurde später der Partitur ausgegliedert, und als Opus 33 umgearbeitet als „7 Variationen“ für Klarinette und Klavier veröffentlicht. Dieses Werk diente mir als Anregung, und die Melodie taucht in xpt T 119 zuerst im Kontrabass auf, zwei Takte später übernimmt das Glockenspiel.

  1. Hector Berlioz (1803 – 1869) kam 1843, anlässlich einer Konzertreise durch Deutschland, auch nach Stuttgart, und führte dort mit dem Hoforchester unter anderem auch seine „Symphonie fantastique“ opus 14 auf. In seinen Memoiren beschreibt er dies enthusiastisch und ausführlich: „… Das Stuttgarter Orchester ist jung und voll Kraft und Feuer. …“ siehe xpt T 156 folgende.
  2. Ignaz Brüll (1846 – 1907), Pianist und Komponist, gehört heute eher zu den großen Unbekannten. Zu Lebzeiten war er besonders als Liedbegleiter berühmt. Viele Jahre in Wien lebend, zählte er sich zum Freundeskreis um Johannes Brahms. In Stuttgart erklang seine „Erste Serenade für Orchester“ op. 29 im Jahre 1866 mit großem Erfolg. In meiner Partitur zeigt er sich mit Motiven aus seinem opus 45: „Thema mit Variationen“. Besonders deutlich beschäftigt sich die Alt-Posaune damit. Ab xpt T 188.
  3. Zwei Jahre nach der Stuttgarter Aufführung der Brüll’schen Serenade wurde Max von Schillings (1868 – 1933) geboren. Als Kapellmeister stand er von 1908 – 1918 an der Spitze des Stuttgarter Hofopernorchesters. Diese 10 Jahre haben sich stark in die württembergische Musikgeschichte eingeprägt. Als Komponist sehr erfolgreich, hinterließ Schillings ein umfassendes Oeuvre. 1915 erlebte die Oper „Mona Lisa“ op. 31 in Stuttgart ihre stark beachtete Uraufführung.

In meiner Partitur sind Motive ab xpt T 263 zu entdecken, zum Beispiel im Heckelphon.

  1. Am 30. April 1864 reiste Richard Wagner (1813 – 1883) von Zürich nach Stuttgart. Er war – wie so oft – einerseits auf der Flucht vor Gläubigern, andererseits auf der Suche nach geeigneten Sängern und Sponsoren für sein kompositorisches Werk. Aktuell arbeitete er damals an der Partitur zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Auf der Suche nach Richard Wagner war auch Herr Pfistermeier, der Kabinettssekretär S.M. des Königs von Bayern. Immer knapp verfehlt, und nach einigem Versteckspielen in Stuttgart, kamen die beiden dann doch zusammen, um anderntags die Reise nach München anzutreten. Wie das Zusammentreffen Richard Wagners mit dem bayerischen König Ludwig II. sein weiteres Leben positiv beeinflusste, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Nachdem sich die finanzielle Sorge unverhofft so entspannt hat, sieht man Richard Wagner in der zweiten Maihälfte wieder intensiv an den „Meistersingern“ arbeiten.

xpt T 292 folgende (Kalimba, Gitarre, Xylophon)

  1. Der Konzertmeister Carl Wendling (1875 – 1962) gehörte der Stuttgarter Hofkapelle 1903 – 1920 an. Ferner war er Primarius des berühmten Wendling-Quartetts, und sehr aktiv als Solist und gesuchter Lehrer tätig.

Zwischen Max Reger (1873 – 1916) und ihm bestand eine enge Künstlerfreundschaft. Reger hat ihm mehrere Werke gewidmet, unter anderem die Solo-Sonate a-moll op. 91/1für Violine, sowie das letzte vollendete Werk von Max Reger, das Klarinetten-Quintett opus 146. Die Uraufführung dieses Werkes fand nach Regers Tod (10./11. Mai 1916) am 6. November 1916 in Stuttgart statt. Die Interpreten waren Philipp Dreisbach – Klarinette und das Wendling-Quartett. Eintritt dieses Themas von Max Reger (4. Satz Solo-Sonate op.91/1)ist in xpt T 362 [Hörner].

  1. Jetzt folgt ein größerer Sprung von ca. 40 Jahren in das Jahr 1955.

In diesem Jahr schrieb Hans Werner Henze (1926 – 2012) seine 4. Sinfonie, die Material aus dem Finale des 2. Aktes von „König Hirsch“ benutzt. Die Uraufführung der Urfassung von „König Hirsch“ fand dann am 5. Mai 1985 in der Staatsoper Stuttgart unter der Leitung von Dennis Russel Davis statt. Erste Motivteile gibt es ab xpt T 402 zu hören.

Diese Zitate der älteren Komponistenkollegen sind eingebunden in meine eigene musikalische Welt, einiges ist sehr offen zu vernehmen, anderes auch versteckt in die musikalische Textur eingearbeitet.

Xaver Paul Thoma, April 2018

Uraufführung am 23. Mai 2018 in der Liederhalle Stuttgart – Mozartsaal

Musikerinnen und Musiker des Staatsorchesters Stuttgart

Beatrix Meyer-Bode  -  Piccolo-Flöte
Ivan Danko - Oboe
Katrin Stüble - Heckelphon 
Stefanie Faber - Bassklarinette / Kontrabassklarinette
Jürgen Fenner - Kontrafagott
Philipp Römer - Horn
Nadja Helble - Horn
Reinhard Riedel - Altposaune 
Thomas Brunnmayr - Cimbasso 
Thomas Höfs - Schlagzeug 
RobinPorta - Viola d'amore
Daniela Schüler - Blockflöte 
Stefan Koch-Roos - Gitarre
Alan Hamilton - Cembalo 
Bertram Jung - Viola 
Michael Groß - Violoncello 
Manuel Schattel - Kontrabass

Musikalische Leitung: Kristina Sibenik

Mehr Werke für Kammersymphonie

„Max Reger auf dem Xylophon gibt’s auch nicht alle Tage!“

Informationen zu Xaver Paul Thomas „III. Kammersymphonie“ , erschienen im Programmheft zum Jubiläums-Konzert am 23. Mai 2018.

Herr Thoma, bei diesem Kompositionsauftrag der Oper Stuttgart hatten Sie ja gleich zwei Staatsorchester-Bezugspunkte zu berücksichtigen: Zum einen sollte Ihr neues Werk eine mit zahlreichen Zitaten gespickte Reise in die Vergangenheit dieses Orchesters sein, zum anderen sollten darin allerhand Sonderinstrumente zum Einsatz kommen, die man sonst eher selten und allenfalls vereinzelt im Orchester erleben kann.

In der Tat war das eine ungewöhnliche Herangehensweise! In den allermeisten meiner Werke schöpfe ich ja allein aus mir selbst und baue mit eigenem musikalischem Material etwas auf. Hier aber war es Teil des Spiels, auch Musiksprachen anderer Zeiten und anderer Komponisten zu berücksichtigen und in meine eigene musikalische Welt zu integrieren. Dass mir dafür eine ganze Reihe an ungewöhnlichen Instrumenten zur Verfügung stand, empfand ich als sehr inspirierend. Die Instrumente und meine Kollegen, die sie so schön und charakteristisch zu spielen wissen, sind mir aus dem Orchester-Alltag ja sehr vertraut; sie aber in einem einzigen Werk zu vereinen, in Beziehung zueinander zu setzen und diese ungewöhnliche Besetzung dann auch für nahezu eine halbe Stunde beizubehalten – das war auch für mich eine reizvolle kompositorische Herausforderung!

Ist es Ihnen leicht gefallen, aus der Fülle an Komponisten, die die 425-jährige Geschichte des Staatsorchesters prägten, eine Auswahl zu treffen?

Anfangs durchblätterte ich meine Musik-Lexika ganz ziellos nach Komponisten und Dirigenten mit Bezug zu Stuttgart. Nachdem ich mich dann aber genauer mit der Geschichte des Orchesters und des Stuttgarter Musiklebens beschäftigt hatte, wurde die Liste der für mich interessanten Personen immer größer, sodass ich sie erst einmal drastisch kürzte. Ich musste schließlich schauen, welche Komponisten – und dann auch welche ihrer Kompositionen – mir ins Konzept passten und welche nicht.

Übrig geblieben sind immerhin zehn Komponisten aus drei Jahrhunderten, deren Werke Sie in Ihrer Kammersymphonie zitieren (→ S. 14/15) – von Niccolò Jommelli, dem legendären Stuttgarter Hofkapellmeister aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, bis hin zu Hans Werner Henze, dessen Oper König Hirsch hier 1985 zur Uraufführung kam. Wie sind Sie mit diesen Zitaten umgegangen?

Ich zitiere mal länger, mal kürzer; einige Zitate sind bekannt, andere eher unbekannt; manche sind sehr offen zu vernehmen, andere wiederum eher versteckt in die musikalische Textur eingearbeitet. Wichtig war mir, dass alle diese Zitate der älteren Komponistenkollegen eingebunden sind in meine eigene musikalische Sprache. Oft noch wichtiger als das Zitat war mir darum die Art seiner Verarbeitung, die Art seiner Verwandlung, also der Umgang mit dem Zitat. Diese Kammersymphonie will ja keine Zitatensammlung sein, sondern ein organisches, logisches Gebilde, bei dem sich das eine aus dem anderen entwickelt und das Ganze ein Ziel hat!

Und es ist erstaunlich, wie sich unter Ihrer Komponisten-Hand so fernliegende Zeiten wie jene Jommellis aus dem 18. Jahrhundert, Lindpaintners aus der Mitte des 19. Jahrhunderts oder Max von Schillings‘ aus dem frühen 20. Jahrhundert verbinden und zu einem einzigen Strom der Geschichte werden!

Gleichwohl ist mir beim Komponieren wieder einmal aufgefallen, dass die Kluft zwischen den unterschiedlichen zeitgenössischen Musiksprachen in der heutigen Zeit sehr viel größer ist als dies in den zurückliegenden Jahrhunderten der Fall war. Zwischen Jommelli und Lindpaintner ist es sehr viel leichter, Beziehungen herzustellen und Übergänge zu komponieren, als  heute zwischen der Musik beispielsweise eines Wolfgang Rihm oder eines Mark Andre – obwohl diese Zeitgenossen sind und jene knapp hundert Jahre voneinander getrennt waren. Ich habe mich auch deshalb in dieser Kammersymphonie ganz bewusst für Hans Werner Henze als Endpunkt meiner musikalischen Reise entschieden, weil ich mich persönlich seiner Musiksprache mit ihrer Farbigkeit und ihrem lyrischen Grundton sehr nahe fühle.

Sie hatten ursprünglich sogar geplant, dieses Werk mit einem Henze-Zitat zu beenden.

Ja, und dann wollte ich diese Kammersymphonie doch nicht gar so lyrisch, zurückhaltend und leise ausklingen lassen – auch wenn dies durchaus charakteristisch gewesen wäre für mein Komponieren. Es gibt deshalb eine Art Coda, in der nochmal ein bisschen Leben in die Sache kommt und verschiedene Motive des Werks erneut aufscheinen. Die Großform des Werks habe ich übrigens im Wissen um große Vorbilder konzipiert: die h-Moll-Klaviersonate von Franz Liszt oder die Kammersymphonien von Arnold Schönberg und Franz Schreker, die ebenfalls mehrere Sätze und unterschiedliche Charaktere unter einen einzigen großen formalen Bogen spannen.

Lassen Sie uns noch einmal etwas genauer von dem Instrumentarium sprechen, das in dieser Kammersymphonie zum Einsatz kommt. Die von Ihnen verwendeten Sonderinstrumente sind ja doch ein in sich sehr heterogenes „Völkchen“…

Es sind in der Tat sehr gegensätzliche klangliche Ebenen, die es hier zueinander in Beziehung zu setzen galt: Das Heckelphon, die Kontrabassklarinette und der Cimbasso sind beispielsweise sehr tief klingende Instrumente, die Piccoloflöte hingegen ist ein sehr hohes. Auch lassen sich manche dieser Instrumente nur sehr schwer miteinander mischen, etwa der eher klangstarke Cimbasso und die vergleichsweise sanfte Blockflöte. Der Miteinbezug von klanglich vertrauten Instrumenten war deshalb unbedingt notwendig: Die Oboe etwa fungiert in meiner Partitur immer wieder als wichtiges Bindeglied, die mit ihrem hellen, offenen Klang zwischen den vielen dunklen Klangfarben vermittelt. Und sie erfüllt manchmal auch die Rolle der fehlenden Trompete.

Das Cembalo spielte von Anfang an eine Rolle in Ihren Überlegungen?

Ja. Ich brauchte es allein schon wegen der Anbindung an die Musik Jommellis, mit der ich meine Kammersymphonie eröffnen wollte. Gemeinsam mit der Blockflöte, der Viola d’amore und der Gitarre bildet es eine Einheit – auch auf der Bühne im Mozartsaal: Diese „alten“ Instrumente sind zuvorderst, links vom Dirigentenpult, platziert; ihnen gegenüber sitzen die „modernen“ Streichinstrumente Bratsche, Cello und Kontrabass.

Immer wieder treten die Instrumente in sehr überraschenden Zusammenhängen auf – gerade in den Zitaten, wo Ihre Instrumentierung oftmals abweicht von der klangfarblichen Hülle des Originals und dadurch kuriose, oft auch witzige Effekte hervorruft.

Stimmt. Aber ich habe eben auch nicht das komplette Orchester zur Verfügung gehabt, sodass solche überraschenden „Umfärbungen“ und klangliche Transformationen andererseits auch ganz selbstverständlich waren. Im Falle von Berlioz, der so wunderbar die Klangfarben des Orchesters zum Klingen bringen konnte, wählte ich ein Zitat aus der Symphonie fantastique, das sich für meine Zwecke gut eignete: eine Stelle aus dem „Hexensabbat“ des Finales, die auch in Berlioz‘ Original in der Piccoloflöte und dann in den Hörnern erklingt. Bei mir taucht dieses Zitat dann aber auch im Glockenspiel auf…

eine Farbe, die uns in eine ganz andere Welt entrückt!

Oder das Zitat aus Wagners Meistersingern von Nürnberg: Es wird angestimmt von der Gitarre und der afrikanischen Kalimba. Und Max Reger auf dem Xylophon gibt’s auch nicht alle Tage!

Das Gespräch führte Rafael Rennicke

Von Jommelli bis Thoma

Die zitierten Komponisten der „Kammersymphonie“

Mit dem bedeutendsten Stuttgarter Hofkapellmeister, der zugleich eine Koryphäe als Komponist war, eröffnet Xaver Paul Thoma seine musikalische Reise in die klangvolle Vergangenheit des Staatsorchesters: Niccolò Jommelli In seiner Amtszeit von 1753 bis 1769 verhalf der gebürtige Neapolitaner dem württembergischen Hof zu Weltgeltung. Ab Takt 3 der Kammersymphonie grüßt Jommelli mit der Chaconne aus seiner Sinfonia Nr. 14.

Hofkapellmeister Peter Joseph von Lindpaintner verhalf der Stuttgarter Hofkapelle in der Ära nach Jommelli zu neuem Glanz und machte sie zwischen 1819 und 1856 zu einem der besten Orchester Deutschlands. Aus seiner Sinfonia concertante op. 36 für Bläserquintett und Orchester werden ab Takt 56 verschiedene Motive zitiert. Bernhard Molique war einer der bedeutendsten Geiger seiner Zeit und wirkte von 1826 bis 1849 als Konzertmeister der Stuttgarter Hofkapelle. Mit Motiven aus seinem Concertino für Oboe und Orchester meldet er sich ab Takt 93 zu Wort. Und auch Carl Maria von Weber hat in Thomas Kammersymphonie seinen Auftritt: Obwohl er am württembergischen Hof nicht als Musiker, sondern nur als Privatsekretär des königlichen Bruders angestellt war, fand er doch zum Komponieren und schrieb in Stuttgart zwischen 1808 und 1810 die Oper Silvana. Die „Arie der Mechthild“ wurde später aus der Partitur der Oper ausgegliedert und zu den 7 Variationen für Klarinette und Klavier op. 33 umgearbeitet. Ihr Thema taucht ab Takt 119 zunächst im Kontrabass, dann im Glockenspiel auf. Hector Berlioz wusste wie nur wenige von der Stuttgarter Hofkapelle zu schwärmen und brachte mit ihr im Dezember 1842 die Symphonie fantastique erstmals in Deutschland zur Aufführung. Unüberhörbar geistert ab Takt 156 der „Hexensabbat“ des Finales durch Thomas Werk. Hingegen ist Ignaz Brüll nur Eingeweihten bekannt. Der Wiener gehörte zum Freundeskreis um Johannes Brahms, und die Stuttgarter Hofkapelle brachte 1866 seine Erste Serenade für Orchester zur Uraufführung. An Brülls Thema mit Variationen für das Pianoforte wird mit einem Solo der Alt-Posaune ab Takt 188 erinnert.

Max von Schillings war der letzte Stuttgarter Hofkapellmeister, der zugleich bedeutender Komponist war. Verschiedene Motive aus seiner Erfolgs-Oper Mona Lisa von 1915 sind ab Takt 263 zu entdecken. Dann ein Zeitsprung zu Richard Wagner, der im April 1864 in Stuttgart die sein Leben verändernde Bekanntschaft mit dem Kabinettssekretär des Königs Ludwig II. von Bayern machte. Motive aus der Oper Die Meistersinger von Nürnberg, an der Wagner seinerzeit komponierte, erklingen ab Takt 292 in Kalimba, Gitarre und Xylophon. Aus der Solosonate für Violine op. 91/1 von Max Reger wird ab Takt 362 in den Hörnern zitiert – Reger hatte das Werk Carl Wendling gewidmet, dem Konzertmeister der Stuttgarter Hofkapelle in den Jahren 1903 bis 1920.

Schließlich erinnert Xaver Paul Thoma an ein Werk, an dessen Staatsorchester-Geschichte er als Bratschist selbst mitgewirkt hat: Die Motive aus der 1955 entstandenen 4. Sinfonie von Hans Werner Henze fußen auf der Oper König Hirsch, deren Urfassung im Jahr 1985, als Henze „Hauskomponist“ an der Staatsoper war, in Stuttgart zur Uraufführung kam. Die wichtigste Spur aber für den liebenden Mitvollzug von Thomas musikalischer Reise wird die in der Partitur abgedruckte Einsicht des Komponisten bleiben: „Alle diese Zitate der älteren Komponistenkollegen sind eingebunden in meine eigene musikalische Welt.“

Rafael Rennicke
Konzertdramaturg